Antonia Bauer aus Berlin
1998
Als ich die Treppe hochsteige, in meinem normalen,
gewohnten Gang, bin ich erwartungsvoll und ein wenig gespannt.
Verschiedene Freunde hatten mir schon von der Alexander Technik erzählt,
zum Teil fast vorgeschwärmt; und nach einem kurzen Gespräch mit Thomas
Gwiasda bin ich auf dem Weg, selbst die erste Stunde bei ihm zu nehmen.
Meine
Vorinformationen, eigentlich "gründlich recherchiert", kommen mir vor
wie Teile eines Puzzles, die schlecht zusammen passen wollen:
Der
Erfinder der Alexander Technik, F.M. Alexander (er lebte vor etwa 100
Jahren in Australien und England), war Schauspieler - dennoch wird die
Technik, so beliebt sie auch bei Schauspielern und Tänzern ist, vor
allem auch für Menschen angepriesen, die in ihrem Beruf viel sitzen
müssen. F.M. Alexander hat seine Entdeckungen gemacht, als er auf der
Suche nach einer Heilmethode für seine Stimmprobleme war, die ihn als
Schauspieler beinahe berufsunfähig gemacht hätten - meinem aktuellen
Informationsstand zufolge stehen jedoch bei Alexander-Technik nicht
Stimme und Atem im Mittelpunkt, sondern der Rücken, der Hals, die
Wirbelsäule und von dort aus unser restliches Gerüst. Bei dem Versuch,
den Meister selbst zu befragen, stößt man auf Begriffe wie "reeducation
of the psycho-physical mechanisms of the body", und wenn ich dann in
einer Übersetzung nur "Wiedererlernung der psycho-physischen Mechanismen
unseres Selbst" finde, werde ich daraus auch nicht schlauer.
Thomas
öffnet mir die Tür und führt mich in einen großen, beinahe leeren Raum.
Ein Tisch und ein Hocker sind da, sonst nichts. Wir beginnen im Sitzen,
sagt er, und führt mich zu dem Hocker. Nachdem ich Platz genommen habe,
beginnt er an mir zu arbeiten. Seine Hände berühren die Stellen meines
Körpers, die immer am verkrampftesten sind: Er legt sie auf die
Schultern, zwischen die Schulterblätter, an den Nacken, er hält meinen
Kopf und bewegt ihn sacht. Es fühlt sich gut an, ohne dass er viel zu
tun scheint, entspannen sich meine Muskeln und lassen ihre
Verkrampfungen los. Ich atme tief ein. Ich gebe deinen Muskeln
Richtungen, sagt er, und du kannst das unterstützen: Stell dir vor,
deine Schultern gehen voneinander weg und gleichzeitig fallen sie nach
unten. Tue nichts, stelle es dir nur vor.
Anfangs zweifle ich noch,
aber schon nach fünf Minuten merke ich, dass meine Gedanken die Prozesse
erleichtern, die Thomas’ Unterricht in meinem Körper auslöst. Wir
arbeiten im Sitzen, dann im Stehen, wir üben den Wechsel von Aufstehen
und Hinsetzen. Mein Körper fühlt sich immer entspannter an und auch
leichter, ich brauche weniger Kraft, um ihn von dem Hocker zu heben oder
im Stehen zu halten. Gleichzeitig fühle ich mich größer, gewachsen. Und
ein wenig fremd. Mein eigener Körper, mein Rücken, mein Kopf, meine
Arme fühlen sich ungewohnt und fremd an.
Während ich mit der
Wahrnehmung meiner inneren Welt beschäftigt bin, erklärt Thomas mir
Vieles, von dem ich nur Bruchstücke behalten konnte. Wir hätten immer
das Gefühl, alles halten, festhalten, aufrecht halten zu müssen, erklärt
er. Unsere Schultern, unsere Arme, unseren ganzen Körper, und obendrauf
auch noch den schweren Kopf, den wir oft genug auf der Hand aufstützen.
Tatsächlich bräuchten wir aber gar keine bewusste Muskelkraft dafür
anzuwenden. Über Reflexe würde die Muskulatur so gesteuert, dass sie mit
minimalem Aufwand arbeitet, leicht und easy. Die Verspannungen würden
daher resultieren, dass wir uns darüber hinaus anstrengten. Völlig
unnötig.
Nachdem Thomas mich unter seiner Anleitung außer sitzen und
stehen auch hat gehen lassen, soll ich mich in den letzten zwanzig
Minuten der Stunde noch auf den Tisch legen. Ich bin ihm sehr dankbar,
denn ich habe so viel Neues erfahren, dass es mir schon beinahe zu viel
ist. Auf dem Rücken liegend kann ich relaxen, während an meinen Armen
und Beinen gearbeitet wird. Jetzt kann ich ihm auch besser zuhören und
frage nach: Wenn es denn so einfach sei, warum würden wir dann überhaupt
mit Muskelkraft halten und verspannen? Es sei eine Gewohnheit,
antwortet er. Kinder, die sich ursprünglich noch richtig bewegen, ahmen
schnell die Erwachsenen in ihren falschen Körperhaltungen nach. Und in
schlechter Haltung könnten die Reflexe, die die Muskeln steuern sollen,
gar nicht arbeiten. Besonders wichtig sei dafür die Verbindung von Kopf
und Rücken, da am Nacken die Nervenstränge entlang laufen, die den
Muskeln die Befehle geben. Sie dürften nicht "abgeklemmt" oder überdehnt
sein, sonst kämen die Informationen vom Gehirn nicht durch.
Aha,
denke ich mir und beginne zu ahnen, warum F.M. Alexander dieses
Geheimnis entdecken konnte, als er an seiner Stimme arbeitete. Auch die
Stimmbänder sitzen ja im Hals und leiden unter schlechter, besser
ausgedrückt, unnatürlicher Kopfhaltung.